Edmund Schmitt
Wie alles begann...
Pioniere im Motorradbau: Reitwagen, Hildebrand & Wolfmüller
und Rüb & Haab
Es war die richtige
Entscheidung, eine Führung mit Sven Heimberger, dem
wissenschaftlichen Mitarbeiter des Deutschen Zweirad- und
NSU-Museums Neckarsulm, zu buchen – nur so war es überhaupt erst
möglich, sich einen sachkundigen Überblick über die Vielzahl der
Oldtimer verschaffen zu können und gleichzeitig viel Interessantes
im Detail zu erfahren - ein Schnelldurchgang durch die
Entwicklungsgeschichte des Motorrads.
Ohne diese Führung, wäre es ein eher
“lebloser” und oberflächlicher Rundgang geworden!
Das Bild
“Reitwagen, Hildebrand u. Wolfmüller, Rüb u. Haab” zeigt Sven
Heimberger zwischen dem “Reitwagen” und dem 1. Serienmotorrad von
Hildebrand & Wolfmüller – im Vordergrund das Fahrzeug von Rüb &
Haab - alle drei “Motorräder” sollen hier nachfolgend näher
beschrieben werden – Sven Heimberger war immer bereit meine Fragen
umgehend und ausführlich zu beantworten – vorbildlich!
Mit dem ersten
schnelllaufenden, kompakten Verbrennungsmotor, den Daimler und
Maybach zusammen entwickelt haben und der 1885 patentiert wurde,
gelang die erste motorisierte Fahrt eines Straßenfahrzeugs mit
einem Verbrennungsmotor! Davor gab es das nur mit schwerfälligen
Dampfmotorantrieben.
Um eine ausreichende Leistung aus einem
relativ kleinen Motor herauszuholen, war eine höhere Drehzahl
notwendig, wie aus der Formel
“Leistung =
Drehzahl mal Drehmoment”
ersichtlich ist.
Da aber dieser
kleine Motor mit seiner kompakten Bauform keinen langen Kurbelarm
für ein hohes Drehmoment haben konnte, blieb nur noch die
Möglichkeit die Drehzahl zu steigern, was dann auch gelungen ist.
Der sog.
Reitwagen von Daimler
und Maybach mit seinen 2 Laufrädern + seitlichen
Stützrädern, kann als das erste Motorrad der Welt betrachtet
werden.
Die Absicht
war aber gar nicht ein “Motorrad” zu bauen, sondern zu beweisen,
dass dieser Motor geeignet war ein Fahrzeug zu bewegen –
eine Kutsche wäre für den Motor zu schwer gewesen. Der “nur” 60 kg
schwere Motor (scherzhaft “Standuhr” genannt) mit Glührohrzündung
und Oberflächenvergaser leistete bei 600 U/Min. ca. 1/4 bis 1/2 PS
– damit konnte man 12 km in der Stunde zurücklegen.
Nachfolgender
Link zeigt ein Video von einer Fahrt mit diesem “Reitwagen”:
https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=Reitwagen+Daimler#fpstate=ive&vld=cid:5658bd42,vid:_q1vDl8SQfg,st:0
Gleich links daneben ist das
1. Serienmotorrad von
Hildebrand & Wolfmüller aus München zu sehen, an
dem auch Ludwig Rüb (siehe unten) mitentwickelt hat.
Eigentlich war
diese Konstruktion gegenüber dem Reitwagen motorisch gesehen ein
Rückschritt: die 2 Pleuelstangen greifen direkt an die Hubzapfen
links und rechts am Hinterrad, das sozusagen die Kurbelwelle war –
genau wie beim Antrieb einer Dampflok – ein schützendes
Kurbelgehäuse konnte es hier nicht geben. So ein Direktantrieb ist
aber nur mit einer ausgeprägt elastischen Charakteristik des
Motors möglich, der quasi aus dem Stand heraus (Drehzahl Null)
hochdrehen kann. Ein Getriebe und eine Kupplung wurden nicht
benötigt – wie bei einer Dampflok auch – oder auch bei einem
Elektromotor.
In der
Fahrpraxis heißt das dann: Motor mittels Anschieben des Fahrzeugs
zum Laufen bringen und bei den ersten Zündungen sofort aufspringen
– dazu gehörte schon etwas Übung, Mut und Sportlichkeit. Einfacher
ging’s mit einer 2. Person (falls anwesend), die das Gefährt
anschiebt. Den Motor bergabwärts zu starten wäre eine 3.
Möglichkeit, die aber im Flachland nicht möglich ist.
Es gehörte
also schon Pioniergeist und Zähigkeit dazu, sich mit der neuen
Technik auseinanderzusetzen. Zum Abstellen des Motors wurde
vermutlich einfach das Gas aus dem Oberflächenvergaser zugedreht.
1894 hat dann
die Serienfertigung begonnen.
Die
Motordaten: 2 Zylinder, 1,5 Liter Hubraum und 2,5 PS bei 240
U/Min.. Mit einer geringen Literleistung von nur 1,7 PS/1 Liter
verhält sich der Motor elastisch wie eine Dampfmaschine. Mit der
geringen Verdichtung von nur 3:1 war auch das Anschieben nicht
allzu schwer. Für die damalige Zeit erstaunliche 40 km/Std. wurden
in der Standardausführung erreicht - Rekord waren 72 km/Std. –
vermutlich in einer Sonderausführung und/oder explosiverem
Treibstoff?
Zum 1. Mal war vom “Motor-Rad” die Rede.
Unter
nachfolgendem Link ist das erste Serienmotorrad der Welt in Aktion
zu sehen:
https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=Hildebrand+%26+Wolfm%C3%BCller+#fpstate=ive&ip=1&vhid=1y2roRpvRXQilM&vld=cid:615ddec9,vid:JtE5hugBTmo,st:0&vssid=l
Ludwig Rüb (ehemals bei
Hildebrand & Wolfmüller) zusammen mit seinem Dreher
Christian Haab hatten eine andere Idee zum Bau eines
Motorrades, wie aus den Bildern zu ersehen ist – eine erste, dann
aber verworfene Konstruktion, hatte Kardanantrieb (!) zum
Hinterrad und einen hoffnungslos großen “Tandemmotor” (2 Kolben im
Zylinder hintereinander durch eine Kolbenstange verbunden). Die im
Museum ausgestellte 2. Version hat einen “Einkolbenmotor” und
Riemenantrieb.
Ein
wesentlicher Unterschied gegenüber Hildebrand & Wolfmüller ist der
schnelllaufende Motor, der dann auch eine entsprechende
Untersetzung zum Hinterrad benötigt.
Eine Kupplung
hatte auch dieses Fahrzeug nicht, laut Sven Heimberger, auch wenn
es so aussieht, als ob die Spannrolle eine Kupplungsfunktion haben
könnte – das verwundert schon sehr!
Wieso diese greifbar naheliegende Idee
nicht aufgegriffen wurde !? Diese Spannrolle diente
lediglich nur zum Spannen des Riemens nach der Montage und zum
Nachspannen des Riemens, der sich im Betrieb längte – auch Technik
kann unterfordert sein.
Gestartet wurde der Motor wie bei der
Hildebrand & Wolfmüller – als weitere Möglichkeit gab es hier aber
noch das Tretpedal – das war bei
der
Übersetzung (Riemenreifen am Hinterrad zum Motor hin) trotz
geringer Verdichtung von 3:1, wohl recht anstrengend - ein
Dekompressionsventil gab es nämlich nicht.
Der
Viertaktmotor hatte ein sog. atmosphärisches Einlassventil
(Schnüffelventil) und ein gesteuertes Auslassventil – diese Lösung
sollte es noch bis in die 20-er Jahre hinein bei sehr vielen
Motoren geben.
Die Leistung
lag bei 1/2 PS bei angenommenen 700 U/min., Bohrung 53mm, Hub 105
mm, also ein ausgeprägter Langhuber mit 235 ccm und einer geringen
Verdichtung von 3:1. 1896 kam eine elektrische Zündung dazu! Eine
Verbesserung war danach der Abschnappzünder von Bosch.
Auf dem Tank
sitzt der “Gas-Hahn” mit 2 Regulierhebeln, der eine reguliert den
Durchlaß der verdunsteten Treibstoffgase aus dem
Oberflächenvergaser, der andere vermutlich die Luftmenge zur
Einstellung des Mischungsverhältnisses: “fett” zum Starten bis
“normal” für den warmgelaufenen Motor.
(Fotos: Edmund)
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Der kleine
“Dom” auf dem Tank (auf dem Bild nicht sichtbar) dient der Tankentlüftung und das 3. Teil aus
Glas auf dem Tank erinnert sofort an einen Öler zur einfachen
Kontrolle des Ölvorrats – von hier aus geht eine Leitung direkt an
den unten offenen Innenteil des Zylinders. Das Pleuellager hatte
einen eigenen Öler und das Kurbelwellenlager einen Schmiernippel.
Zylinder und Pleuellager waren als Verlustschmierung, auch
Frischölschmierung genannt, konstruiert, d.h. das Öl ist nach
erfolgter Schmierung auf die Straße getropft.
Mit einem Hebel
rechts am Tank wird über ein Gestänge, das zu einem dosenähnlichen
Gehäuse führt, der Zündzeitpunkt verstellt.
Die Zündanlage, die sich in diesem Gehäuse befindet,
entspricht übrigens nicht dem Original und ist als Batteriezündung
nachgerüstet worden. Direkt
dahinter ist ein ovales Gehäuse zu sehen in dem sich die
Steuermechanik für das Auslassventil befindet.
Rüb und Haab Motorrad 1895
- Detail |
Der Restaurator war übrigens kein
Geringerer als Karl Reese.
https://www.oldtimer-markt.de/aktuell/Karl-Reese-ist-tot
Was allen
Motorrädern bis dahin noch fehlte, war also eine Kupplung
(idealerweise vom Lenkrad aus bedienbar – Bowdenzüge kamen aber
erst später) – das hätte das Starten des Motors und das Losfahren
schon etwas erleichtert – als weiteren zusätzlichen Komfort
noch einen Kickstarter dazu und der Startvorgang hätte
nahezu problemfrei verlaufen können: auskuppeln – antreten –
einkuppeln (losfahren); ich spreche noch immer vom
getriebelosen Antrieb. Ob diese einfache Idee so verwirklicht
wurde, weiß ich nicht – es ist aber zu vermuten.
Wer mehr über die Zeit der kühnen
Motorradpioniere lesen will, dem sei das Buch “Opa Geuder erzählt”
(Autor: Ernst Geuder) empfohlen – der Leser fühlt sich greifbar in
diese Zeit versetzt. Liest sich gut und ist
kurzweilig, so daß man das Buch am liebsten in einem Zug
durchlesen möchte. Hier werden die Geschichten um diese
abenteuerlustige Gestalten wieder lebendig, die trotz schlechter
Straßen, unzuverlässiger Technik, ohne Werkstatthilfen und allen
Anfeindungen zum Trotz mitgeholfen haben, die Mobilität des
Menschen voranzubringen.
In der Regel
war das nicht der Normalbürger – der hatte weder Zeit noch Geld
und war auch nicht so “verrückt” sich in solche, teils
lebensgefährlichen Abenteuer zu stürzen.
Ich denke
gerade an den Flugzeug-Pionier Otto Lilienthal, als er einmal
gesagt hat: “Opfer müssen gebracht werden” – er hatte damit die
Welt in Erstaunen versetzt - wir wissen aber auch, wie es geendet
hat.
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